Vierer auf dem Bodensee versenkt: Feucht-fröhliche Bodensee-Ausfahrt mit dem Ruderverein ‚Neptun‘ e.V. Konstanz

Wanderrudern   28. Oktober 2015  

Am letzten September-Wochenende waren die Wanderruderer des MRV zu Gast bei unseren Freunden in Konstanz zum alljährlichen „Bodensee-Wochenende“. Es ist bereits das zehnte Treffen dieser Art, ein Jubiläum also; seit nunmehr fünf Jahren findet jeweils ein Treffen in Konstanz und eines in Marbach statt. Der ursprüngliche Termin Ende Juni musste wegen schlechten Wetters abgesagt werden, doch dieses Mal ist die Vorhersage optimal, zumal für diese Jahreszeit: warm und nach Nebelauflösung auch durchaus sonnig.

Pünktlich um 09:00 Uhr starten 18 Ruderer in 4 Booten. Das übliche kabbelige Wasser unter der Rheinbrücke in Konstanz ist schnell und problemlos passiert und auf Höhe des Konstanzer Yachtclubs ist das Wasser selbst für Marbacher Verhältnisse spiegelglatt, sodass das angestrebte Ziel, die Marienschlucht am Südufer des Überlinger Sees, in greifbare Nähe rückt. Spätestens im Bereich des Konstanzer Hörnle, der Landspitze zwischen Innenstadt und dem Fähranleger Richtung Meersburg, verlässt man den relativ geschützten Bereich der Konstanzer Bucht und trifft auf Wellen, die man vom Bodensee eher gewohnt ist, bei denen es sich aber noch immer schön rudern lässt.

Mit kräftigen Schlägen rudern wir schnell am Fährhafen vorbei, um einer gerade ablegenden großen Autofähre nicht in die Quere zu kommen. Wir umfahren die Insel Mainau auf der Außenseite (die Innenseite und damit die Durchfahrt unter der Mainau-Brücke ist Naturschutzgebiet und für jeglichen Schiffsverkehr gesperrt) und gelangen immer näher ans Steilufer des Bodanrücks: Nicht nur am Ufer selbst ist das Steilufer deutlich zu erkennen, auch unter Wasser fällt das Gelände nahezu senkrecht ab. Bei geschicktem Steuern sieht man links vom Boot den nur wenige Meter entfernten Grund, während sich rechts der See in einer bodenlosen Tiefe verliert. Wir bestaunen den Teufelstisch, eine gigantische, 90 Meter hohe Felsnadel – jedoch steht sie komplett unter Wasser im See und ragt nur bei extremem Niedrigwasser heraus, doch auch beim jetzigen Wasserstand ist ihre platte Oberseite deutlich unter Wasser zu erkennen.

Der Seegang hat noch etwas zugenommen und da die Marienschlucht ohnehin gesperrt ist, beschließt unser Fahrtenleiter schon vorzeitig umzudrehen, um den Picknickplatz bei Dingelsdorf anzusteuern. In der Tat ist es doch nicht so sonnig wie vorhergesagt und die Wellen haben einen unfreundlichen, bedrohlichen Charakter angenommen. Wir fahren dicht unter Land, um dem Schlimmsten zu entgehen. Die beiden Herren im Bug beschweren sich zunehmend über hereinschwappendes Wasser, aber auch die Übrigen im Boot bekommen den einen oder anderen ordentlichen Spritzer ab. Ich selbst sitze im Heck und zu meinen Füßen kann ich nur wenige Zentimeter Wasser im Boot feststellen, doch die Lage im Bug ist offenbar dramatischer als sie sich mir als Obmann im Heck darstellt: Das Boot ist stark buglastig (die schwersten Kerls sitzen im Bug, zusammen mit dem ganzen Proviant und schwerem metallischem Essbesteck für eine 20-köpfige Tafel) und bei jeder Welle nimmt das Boot über den ungedeckten Bug mehr Wasser über. Und ganz langsam, wie einst vor über 100 Jahren bei der Titanic, versinkt der Bug langsam in den Wellen. Freilich hat unser Boot noch etwas anderes mit der Titanic gemein: Schottwände, die verhindern, dass sich das eingedrungene Wasser im Boot verteilen kann. Allerdings reichen auch bei unserem Boot die Schottwände nicht ganz bis nach oben (die Schiffsbauer haben in all den Jahren offenbar nichts dazu gelernt) und so fließt das Wasser von einem Abteil in das nächste über, sobald nur der Wasserstand hoch genug ist. Und wie in jener schicksalhaften eisigen Nacht im Nordatlantik verschwindet der Bug unseres Bootes unter Wasser, das Heck mit Steuer hebt sich immer weiter in die Höhe. Die beiden Bugleute schwimmen bereits neben dem Boot, für sie kommt jede Hilfe zu spät. Ich überlege noch, ob ich mit Steuerfrau Ingrid über den Steuersitz hinweg ganz ins Heck des Bootes klettern soll, um – wie einst Kate Winslet und Leonardo Dicaprio an der Heckreling der Titanic – das Unvermeidliche noch ein wenig hinauszuzögern, doch es hat keinen Sinn mehr: Mit einem letzten Gurgeln versinkt das Boot unaufhaltsam zur Gänze in der aufgewühlten See und nur das Geschrei der Mannschaft hallt noch einsam über das Wasser. Rettungswesten, Bootssäcke und aller möglicher Kleinkram – allessamt natürlich nicht festgebunden – schwimmen sofort zielstrebig in alle Himmelsrichtungen davon. Eine Plastikbox mit Essen tanzt noch kurz lustig auf den Wellen, dann folgt auch sie dem Boot in die Tiefe. Das Steuer wird vom Auftrieb aus seiner Halterung gehoben und macht sich ebenfalls davon; gleichwohl kommt es nicht allzu weit, da sich die Steuerleine am Steuersitz verheddert hat.

Die beiden schwimmenden Bugleute haben es inzwischen geschafft, das Boot so weit ans Ufer zu zerren, dass wir alle im hüfthohen Wasser stehen können. Während eines der anderen Ruderboote damit beschäftig ist, unser herumtreibendes Standgut aufzufischen, machen wir uns daran, das Boot leer zu schöpfen. Die winzigen Schöpfbecher reichen dazu in Anzahl und Größe bei weitem nicht aus, das Boot ist randvoll. Der freundliche Besitzer einer Villa, in deren Garten wir quasi gestrandet sind, stattet uns großzügig mit Eimern aus.

Nachdem das Boot wieder halbwegs trocken gelegt ist und die noch verbleibenden Habseligkeiten wieder verstaut sind, geht es sogleich weiter, wahrscheinlich ist das im eisigen Wind und mit nassen Klamotten auch das beste. Das Picknick wartet schließlich! Während sich die Ruderer der anderen Boote schon langsam Sorgen gemacht haben, wo wir bleiben, haben sie wenigstens das Picknick aufgebaut, auch wenn wir hierzu mit unserem durchweichten Brot nicht mehr viel beitragen können. Wie immer verwöhnen uns die Konstanzer jedoch vorzüglich.

Nach der Mittagspause geht es weiter. Wir fahren extrem nah am Ufer, fahren jede Bucht aus und lieber zwischen den ankernden Segelschiffen hindurch als zu weit draußen. Lediglich bei den verschiedenen kleinen Häfen müssen wir wieder weiter vom Ufer weg, und vor den Spundwänden der Hafenbefestigungen ist hässliches kabbeliges Wasser, aber es hilft ja nichts. Spätestens alle 20 Minuten ist eine Pause angesagt, um das Boot, insbesondere das Bugabteil, wieder leer zu schöpfen. Wir beschließen, allen Verboten zum Trotz, die Mainau auf der Innenseite zum umfahren, besser das, als auf der Außenseite vor den Augen Tausender Schaulustiger erneut abzusaufen. An der Spundwand nach dem Fähranleger wird es noch einmal kritisch: Ich sitze im Bug, die Hauptlast des Schöpfens liegt bei mir, doch auch stillliegend, parallel zu den Wellen nimmt das Boot mehr Wasser über als ich schöpfen kann; das Gepäck im Bug beginnt bereits wieder zu schwimmen und der Bug taucht bei jeder Welle tief ein. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir wieder untergehen, dieses Mal deutlich weiter entfernt vom Ufer. Während die übrige Mannschaft Land ansteuert, ziehe ich die Ruder ein und schöpfe im Akkord, auf diese Weise lässt sich der Wasserstand im Boot gerade so konstant halten, bis das rettende Ufer erreicht ist. Erneut werden wir von einem verwirrt dreinschauenden, Rasen mähenden Anwohner mit Eimern ausgestattet.

Unsere restliche Fahrt verläuft dann – mit der einen oder anderen Schöpfpause – einigermaßen ohne weitere Zwischenfälle. Auf Höhe des „Hörnles“ hat eines der anderen Boote freilich weniger Glück. Auch dieses Boot geht unter. Bei einem der Konstanzer Ruderer öffnet sich im Wasser die Automatikweste. Diese würde ihn im Zweifelsfall zwar vor dem Ertrinken bewahren, doch sieht er nun aus wie das Michelin-Männchen, ist nahezu handlungsunfähig und muss erst einmal von seiner Weste befreit werden, bevor er sich an der Bergung des Bootes beteiligen kann.

Etwas nass, aber insgesamt durchaus zufrieden, kommen die Ruderer (und Boote) schließlich wieder in Konstanz an. Nachdem alle wieder trocken gelegt sind, folgen Kaffee und Kuchen im sehenswerten Klubraum des Konstanzer Rudervereins und unser Gastgeber Helmut Hengstler bekommt als Gastgeschenk die Regatta-Medaille des MRV von 2015 verliehen. Er wird damit praktisch zum ersten Gewinner der Marbacher Herbstregatta 2015, die ja erst eine Woche später stattfinden wird.

Abends sind wir Marbacher dann unter uns und ziehen in die Konstanzer Altstadt zum Abendessen. Am nächsten Tag unternehmen wir noch eine kurze morgendliche Ausfahrt rheinabwärts nach Ermatingen in der Schweiz – ohne Wellen beinahe schon etwas langweilig… – bevor es wieder nach Hause geht.

Das vergleichsweise feuchte Wochenende hat allen Beteiligten großen Spaß gemacht.