Rudern bis die Tränen kommen
Wanderrudern 12. November 2018
Warum tut mach sich das nur an? Pünktlich um 3:50 Uhr – morgens wohlgemerkt – erfolgt das Wecken. Die Nacht im Matratzenlager war kurz und wenig erholsam. Dicht an dicht haben die 118 Ruderer im Bootshaus des Karlsruher Rheinclub Alemannia (KRA) genächtigt, manche gleich in ihrer Ruderkleidung, um am Morgen keine Zeit zu verlieren. Eilig wird das Lager abgebaut. Das Frühstück wartet bereits, bestens organisiert vom Team um den Organisator der Veranstaltung, Wolfdietrich Jacobs vom KRA. Der Name der Veranstaltung ist „All You Can Row“ – der Gedanke dahinter ganz einfach: Rudern rheinabwärts am längsten Tag des Jahres von Sonnenauf- bis -untergang und dabei möglichst weit kommen.
Gegen 4:45 Uhr gehen dann auch die ersten Boote aufs Wasser, die Ambitioniertesten wollen nicht ins sich abzeichnende Gedränge am Steg kommen, um beim Startschuss zum Sonnenaufgang, um exakt 5:20 Uhr, ja keine Minute zu verlieren, schließlich macht sich manch einer Hoffnung, den Rekord der Vorjahre brechen zu können.
Wir lassen den Profis den Vorrang und mischen uns ins Getümmel, doch um halb sechs sind auch wir dann auf der Strecke. Zunächst geht es noch beschaulich durch die Hafenbecken des Karlsruher Hafens, doch nach 3 km wird es ernst: Es geht hinaus auf den wilden Rhein. 16 Stunden rudern liegen vor uns. Anvisiertes Ziel ist Mainz, etwa 150 km voraus.
Es gilt, die Kräfte einzuteilen. Alle 30 Minuten, so der Plan, wird der Steuermann gewechselt. Das bedeutet für jeden: immer 2 Stunden rudern, gefolgt von 30 Minuten Erholung beim Steuern. Nervlich ist das Steuern freilich für den einen oder anderen rheinunerfahrenen Marbacher Ruderer eher aufreibend: Der Rhein hat stellenweise starken Schiffsverkehr und hohe Wellen. Der Umgang damit will gekonnt sein, außerdem fordert die Mannschaft, dass in Ideallinie genau im Stromstrich gefahren wird, um keine Zeit zu verlieren. Überhaupt muss während der 30-minütigen Steuerphase alles erledigt werden, wozu während des Ruderns keine Gelegenheit war: Essen, Trinken, Fotografieren, möglichst auch die Verrichtung anderer Bedürfnisse in die bereit liegenden Schöpfgefäße des Bootes.
Wir passieren Speyer, für den Dom haben wir kaum einen Blick übrig, kurz vor Mittag erreichen wir Mannheim. Die Durchfahrt durch das Mannheimer Stadtgebiet ist als Schlüsselstelle der Strecke anzusehen: Über 3 km gibt es beidseits durchgängig Spundwände und starken Schiffsverkehr, was zu äußerst hässlichen Wellen führen kann; hier lässt der rheinerfahrene Obmann nun keinen anderen mehr ans Steuer.
Kurz darauf treffen wir einen alten Bekannten: Bei Rheinkilometer 428 mündet der Neckar in den Rhein, exakt 203 km sind es von hier bis Plochingen. Kurz überlegen wir, hier abzubiegen und gleich nach Marbach zurück zu rudern, fahren dann aber doch lieber weiter.
Die eine oder andere Pause an Land gibt es dann doch: Die Damen im Boot lehnen die Benutzung der Schöpfbecher ab. Glücklicherweise gibt es genügend Rudervereine und Sandbänke, die ein Anlegen ermöglichen. Und nach Worms genehmigen wir uns schließlich auch eine etwas längere Pause im Restaurant, immer mit einem Auge auf die Uhr schielend, um das angestrebte Tagesziel nicht aus dem Blick zu verlieren.
Nach der Mittagspause frischt der Nordwind zunehmend auf. Ständig gegen den Wind anzurudern zehrt an den Kräften, das Boot kommt nun merklich langsamer voran. Das dürften auch die ehrgeizigen Führungsboote empfindlich zu spüren bekommen. Darüber hinaus ist der Wasserstand knapp unter Mittelwasser; ohne Hochwasser mit entsprechender Strömung dürfte es für sie daher schwierig werden, in diesem Jahr einen neuen Rekord aufzustellen.
Die diversen Pausen haben unsere Zeitreserve zunehmend aufgebraucht, gegen Ende heißt es Durchrudern, um noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang Mainz zu erreichen. Schon im leichten Dämmerlicht kommen wir in Mainz an. Auf der Uferpromenade ist Volksfest, Steuerbord voraus bereits Wiesbaden zu erkennen. Zum Genießen der Abendstimmung ist jedoch keine Zeit mehr. Pünktlich zum Sonnenuntergang, um 21:40 Uhr, legen wir nach 16 Stunden 10 Minuten am Steg der Mainzer Rudergesellschaft an, 147 km sind wir nun seit Karlsruhe gerudert. Die Profis freilich, denen wir heute morgen so großzügig den Vortritt gelassen haben, waren bereits am frühen Nachmittag hier. Sie sind weitergefahren. Weiter Richtung Rüdesheim und Bingen, über die Mittelgebirgsstrecke an der Loreley vorbei, durch Koblenz hindurch und weiter der Nordsee entgehen. Die Spitzenmannschaft ist erst in Neuwied aus dem Boot gestiegen, 105 km nach uns, 252 km Gesamtstrecke. Nächstes Jahr dann vielleicht…
Frank Hofmann