Große Donau-Wanderfahrt durch und um Berlin

Wanderrudern   12. September 2021  

Ursprünglich sollte es ja auf die Donau gehen, die schwachen Anmeldezahlen ließen dies aber nicht zu, sodass wir mit kleiner Mannschaft nach Berlin fahren; hier sparen wir den Bootstransport und können immer im selben Hotel übernachten.

Wir leihen uns Boote beim Spandauer Ruderclub „Friesen“ und beginnen die sechstägige Ruderfahrt. Die Schleuse Charlottenburg ist wegen Ersatzteilmangels seit Wochen außer Betrieb, so müssen wir außen herum, über den Hohenzollernkanal und Plötzensee. Auf der Spree darf im Bereich der Innenstadt und des Regierungsviertels nicht gerudert werden; wir wählen stattdessen den Landwehrkanal, am Tiergarten vorbei durch Schöne- und Kreuzberg hindurch, vorbei an Technikmuseum und Verteidigungsministerium. In Treptow (Oberbaumbrücke) gelangen wir wieder auf die Spree, an der Insel der Jugend vorbei endet die erste Etappe bei der Treptower Rudergesellschaft.

Am nächsten Tag geht es weiter ostwärts die Spree hinauf, durch Köpenick hindurch zum Großen Müggelsee. Nach kritischem Blick auf Wind und Wellenhöhe beschließen wir, nicht am Ufer entlang zu fahren, sondern direkt den See zu queren. Der Müggelsee gilt als heikel was Wellen angeht, und in der Tat nimmt die Wellenhöhe ab der Seemitte bedrohlich zu, das eine oder andere Mal steht der See bündig Oberkante Ruderboot, kurz davor, sich zur Gänze ins Boot zu ergießen. Die ganze Mannschaft trägt nun Rettungswesten. Kaum am anderen Ufer angekommen ist das Wasser jedoch wieder spiegelglatt. Wir machen einen kleinen Abstecher durch Neu-Venedig, eine Wochenendhaussiedlung, deren Villen das Häuschen mach stolzen schwäbischen Eigenheimbesitzers als schäbige Gartenlaube deklassieren. Die Etappe endet am Dämeritzsee in Erkner, zuvor bleibt noch Zeit für einen Abstecher über die völlig naturbelassene Löcknitz in den Werlsee.

Dritter Tag: Der Gosener Kanal wurde einst angelegt, um während Olympia 1936 die Berufsschifffahrt von der Regattastrecke in Grünau fernzuhalten. Wir wählen stattdessen die ursprüngliche Strecke: Der Gosener Graben windet sich in engen Kurven durch dichten Urwald, bei umsichtiger Fahrweise für einen Vierer gerade so machbar. Ständig liegen Bäume quer, die sich gerade so umfahren lassen. „An die Zusammenarbeit von Mannschaft und Steuerleuten werden höchste Anforderungen gestellt.“, so der Gewässerkatalog. Vom Seddinsee gelangen wir über den Oder-Spree-Kanal in den Krossinsee und den Großen Zug, ab hier halten wir uns auf der Dahme wieder nordwärts. Wir fahren in Grünau über die Regattastrecke – ein neuer Streckenrekord will uns freilich nicht gelingen. Kurz vor Köpenick geht es links ab in den Teltowkanal, nur noch ein kurzes Stück bis zur Rudergesellschaft Wiking in Neukölln.

Etappe 4 verspricht, öde zu werden: endlose Kilometer auf dem Teltowkanal gen Westen. Gleich zu Beginn die größte Herausforderung. Wir starten an einem Wasserstraßenkreuz: Der Teltowkanal trifft hier auf den Britzer Verbindungskanal und den Neuköllner Kanal – es wäre fatal, hier den falschen Abzweig zu nehmen; überhaupt empfiehlt sich das Mitführen einer Karte beim Rudern in Berlin angesichts der vielen Möglichkeiten. Während in den letzten Tagen die Natur überwogen hat, wird es nun wieder städtischer, jedoch industriell, heruntergekommen und verwildert. Der Tempelhofer Hafen bildet eine rühmliche Ausnahme. Im Kanal – nach langer Zeit – mal wieder eine Schleuse. Es herrscht akuter Wassermangel in Berlin, wir müssen fast zwei Stunden warten, erst dann werden wir mit den ca. 20 anderen wartenden Sportbooten geschleust. Abends erreichen wir über Stölpchen- und Pohlsee den Kleinen Wannsee und den Schülerruderverband Wannsee. (Am mondänen Bootshaus der Berliner Ruder-Clubs wagen wir erst gar nicht, anzulegen.)

Tags darauf werfen wir einen kurzen Blick auf den Großen Wannsee, dann geht es über den Kleinen Wannsee und den Griebnitzsee nach Potsdam. Wir bestaunen aus der Ferne den Anlege- und Einkaufssteg von Aldi; Pause ist an der Freundschaftsinsel. Um zumindest einen Anschein kulturellen Interesses zu zeigen, ein kleiner Fußmarsch zur Nikolaikirche und zum Stadtschloss. Wir rudern zurück, nun die Havel aufwärts, unter der Glienicker Brücke hindurch (ein Agentenaustausch scheint gerade nicht stattzufinden). Die zweite Pause an der Meierei im Neuen Garten ermöglicht, einmal im Eilschritt um Schloss Cecilienhof und die Muschelgrotte zu spurten, mehr Zeit ist nicht, wir wollen zurück nach Spandau. Wir lassen Heilandskirche und Pfaueninsel links liegen, passieren Schwanenwerder und Lindwerder. Bedrohliche Gewitterwolken nähern sich von allen Seiten, der Sturm bläst kräftige Regenschauer über das Wasser. Wir versuchen, bei miserabler Sicht die Ausfahrt aus der hier doch recht breiten Havel zu finden, das Leuchtfeuer Pichelsdorf scheint nicht eingeschaltet zu sein. Links und rechts zucken die Blitze über den Ufern, die Rettungswesten sind unerreichbar in den Bootssäcken unter den Abdeckungen. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Unwetter richtig loslegt, erreichen wir Spandau.

Der letzte Tag (wieder perfektes Ruderwetter): Wir rudern durch Pichel- und Stößensee nach Klein-Venedig, wieder so eine Ansammlung enger Kanäle, die höchste Anforderungen an Mannschaft und Steuerleuten stellen. Das Wasser leuchtet hier wegen einer Blaualgenplage neongrün und lädt keineswegs zum Baden ein. Vom Spandauer See aus machen wir einen kleinen Abstecher in den Wassergraben um die Spandauer Zitadelle – und bleiben beinahe in den Seerosen stecken, die hier allzu üppig wuchern. Mittagspause ist in Hakenfelde an der Fähre, danach ist noch Zeit für einen kleinen Abstecher auf den Tegeler See, doch müssen wir rechtzeitig zur Rückgabe der Boote zurück sein.

An 6 Tagen sind wir fast 200 km gerudert. Wir kommen wieder: Für das nächste Mal sind noch genügend Gewässer um Berlin übrig.

Frank Hofmann