Marbacher Ruderverein rudert in malerischer Landschaft durch Frankfort
Wanderrudern 26. Oktober 2022
Nein, das ist kein Druckfehler. Frankfort ist die Hauptstadt des schönen Bundesstaates Kentucky, der Fluss der Kentucky River. Der Marbacher Ruderverein ist eingeladen, zusammen mit dem Louisville Rowing Club, einige Tage in den USA zu rudern.
Auf den ersten Blick wirkt der Kentucky River beschaulich wie der Neckar: Nahezu keine Strömung und vergleichbare Breite, zudem durch Staustufen reguliert. Vor Ort ist dann einiges doch anders: Es gibt am Kentucky River keine Stege. Ins Wasser hinein bzw. heraus kommt man nur über Bootsrampen, die eigentlich motorbootverliebten Amerikanern das Einsetzen ihrer PS-starken Spielzeuge ermöglichen sollen. Dazwischen gibt es – nichts. Die Ufer sind wild. Es gibt Rudertage, an denen wir keinen Menschen begegnen. Keine Ortschaften, Schiffe, Boote, Stege oder Wege. Selbst das Anlegen unterwegs für die Mittagspause ist schwierig oder teilweise unmöglich. Der Fluss gräbt sich seit 2,5 Millionen Jahren in den Untergrund. Mit den Kentucky River Palisades hat er einen beeindruckenden Canyon geschaffen, dessen steile Wände direkt vom Wasser bis zu 100 Meter hoch aufragen; am gegenüber liegenden Ufer: undurchdringlicher, wegloser Urwald. Große Baumstämme liegen im Wasser, auf denen sich Schildkröten sonnen; am Himmel kreisen Adler.
Auch die Schleusen erweisen sich als Reinfall: Einst vom U.S. Army Corps of Engineers erbaut, um die großen Kohlevorkommen der Cumberland Mountains auf dem Wasserweg abzutransportieren, haben sie heute mit dem Niedergang der Kohleindustrie in Kentucky ihre Bedeutung und wirtschaftliche Rentabilität verloren und wurden bereits in den 1980er Jahren aufgegeben. Der bröckelnde Beton der verfallenden Wehre und Schleusen erweckt einen traurigen, trostlosen Eindruck. Aus Furcht vor einem Durchbrechen der maroden Schleusentore wurden die Schleusenkammern mit soliden Wänden aus Stahlbeton verschlossen; die Schleusenkammern sind versandet. Die verrostenden Stahlgerippe der Schleusentore liegen aufgegeben im Sand der Uferböschung, ihr Holz ist längst verfault oder zu Staub zerfallen. Anlegestellen, Bootsschleppen oder gar Sportbootschleusen gab und gibt es an diesen Schleusen nicht. In waghalsigen Aktionen müssen Boot und Mannschaft irgendwie die steile Böschung hinauf, um die Schleuse herum und dann wieder ins Wasser.
Mit der Annäherung an Frankfort hält die Zivilisation langsam wieder Einzug. Außer dem einen oder anderen schlafenden Angler in einem kleinen Kahn bleiben wir aber trotzdem alleine auf dem Fluss. Beim Ablegen in Frankfort am nächsten Morgen (wieder von einer Bootsrampe, denn Stege gibt es noch immer nicht), hat der Wind gedreht: Ein durchdringender Geruch liegt in der Luft und erinnert, wofür Kentucky berühmt ist: Bourbon-Whiskey. Alleine das Vorbeirudern an der Buffalo Trace Distillery, die hier Kühlwasser entnimmt, reicht aus, um die ganze Mannschaft betrunken zu machen.
Bei Wilmore, nahe Lexington, liegt ein kleiner Raddampfer am Ufer verankert – durch die aufgegebenen Schleusen dazu verdammt, einen sehr kleinen Flussabschnitt zu befahren. Hier ist die Anlegestelle von Shaker Village of Pleasant Hill, einst die Heimat einer religiösen Shaker-Gemeinde, heute eine beliebte Touristenattraktion. Der Ort ist unverändert seit seiner Gründung Anfang des 19. Jahrhunderts und zeigt eindrucksvoll, wie das selbstgewählte einfache Leben hier einst gewesen sein muss. Gleich nebenan: Die High Bridge of Kentucky, eine kolossale Eisenbahnbrücke über den Fluss aus dem 19. Jahrhundert.
Überhaupt zeigt sich Kentucky abseits des Flusses von seiner schönsten Seite. Wir befinden uns im „Horse Country“. Lexington gilt als „Horse Capital of the World“: Fast 500 Pferdefarmen züchten die Rennpferde von morgen; an die tausend Pferde befinden sich im Training. Viele Weltklasse-Pferde stammen aus Kentucky. Fast nebenan ist Louisville, Austragungsort des berühmten Kentucky Derby. Eine Fahrt durch Horse Country zeigt den Reichtum des sonst so armen Kentucky: Prächtige Farmhäuser, meist zurückgesetzt auf einem Hügel hinter einer langen Auffahrt und schneeweißer Umzäunung, zeugen vom Geld, das hier mit Pferden verdient wird.
Unsere Fahrt endet kurz vor Carrollton. Hier mündet der Kentucky River in den Ohio River, gegen den sich der Rhein wie ein kleines Flüsschen ausnimmt: Breit, mit mächtigen Schleusen und großen Schubverbänden, die hier aus bis zu 15 Schubleichtern bestehen können. Von hier ab könnte man weiterrudern, etwa 700 km bis nach Cairo in Illinois, wo sich der Ohio River mit dem Mississippi vereint, und von dort weiter, den Mississippi hinab, knapp weitere 2000 km bis in den Golf von Mexiko. Nächstes Jahr dann vielleicht.
Frank Hofmann