4. Naut’Ill-Fest in Straßburg
Wanderrudern 12. September 2023
Bâbord heißt Backbord und Tribord ist Steuerbord
Der Morgennebel liegt noch über den Feldern der Rheinebene, als wir Richtung Straßburg fahren – ein schönes Bild, das gleichzeitig einen tollen Tag verspricht. Um acht müssen wir beim Rowing Club sein, um die Boote des Landesruderverbandes mit aufzuriggern. Vor dem Bootshaus sammeln sich die deutschen Ruderer, aus Darmstadt und Eberbach, aus Bad Wimpfen und Konstanz, aus Waiblingen und Mannheim, aus Rastatt und eben wir zwei aus Marbach – teilweise kennen wir uns schon. Dazwischen blitzen die roten Shirts des Rowing Clubs aus Mulhouse, die blau-weiß geringelten des Straßburger Ill-Clubs und diverse andere. Deutsch und Französisch schallen über den Bootsplatz, man sucht seine Mannschaft zusammen, so wie sie auf der Liste steht. In fast jedem Boot sitzen Deutsche und Franzosen beieinander, die Tourenbeschreibung gibt es entweder auf Deutsch oder auf Französisch.
Hundert Teilnehmer ungefähr wollen einmal die Runde drehen durch Straßburg, vorbei an den europäischen Institutionen Parlament, Rat und Gerichtshof für Menschenrechte, am TV-Sender Arte und vor allem durch die Altstadt. Da dürfen normalerweise nur die großen Panoramaschiffe fahren, aber einmal im Jahr ist Naut’Ill, da gelten andere Gesetze.
Wer jetzt an die Vogalonga in Venedig denkt, liegt nicht ganz falsch. Vor fünf Jahren waren 15 Ruderer des Ill-Clubs in Venedig dabei und dann wollten sie so etwas auch in Straßburg auf die Beine stellen. Allerdings ist Naut’Ill nicht so groß und überlaufen wie die Vogalonga – man sieht noch das Wasser zwischen den Booten und hat tatsächlich die Möglichkeit zu rudern! Oder zu paddeln, denn Kanuten sind auch dabei, auch wenn wir die nur kurz in der Mittagspause zu Gesicht bekommen.
Leicht verspätet legen die letzten Boote gegen zehn vom riesigen Steg ab, manche warten in dem Wasserbecken des Heyritz-Parks aufeinander, andere ziehen schon los. An der Großen Moschee sollte man nach rechts abbiegen in die Ill, dummerweise hängt auf der Brücke zu unserer linken Seite ein Banner von Naut’Ill. Was unsere Steuerfrau, die die deutsche Wegbeschreibung gleich wieder weggelegt hat, weil sie sie nicht versteht, als Hinweis nimmt, dass es nach links geht. Und einige andere Ruderboote folgen. Erst nach mindestens fünf Kilometern in die falsche Richtung erreicht uns ein Anruf, der uns zurückbeordert. Also machen wir kehrt und rudern in Richtung Petite France.
Diesen malerischen Mittelpunkt der Altstadt mit den hübschen Fachwerkhäusern vom Wasser aus zu erleben ist schon etwas Besonderes! Das fängt an mit der Barrage Vauban, einer gedeckten Steinbrücke, die gleichzeitig auch Wehr und Teil der Stadtbefestigung ist. Man darf durch genau einen der Brückenbögen fahren, was aber nur mit lang gelegten Skulls geht. Dahinter empfängt uns Thomas im Motorboot und dirigiert alle nach links. Dort müssen wir warten, bis die Schleuse aufgeht und eines der Panoramaboote ausspuckt. Zeit genug, die Rettungswesten anzuziehen, denn ohne darf man nicht in die Schleuse.
Schleusen à la Naut’Ill bedeutet, selbstständig einfahren geht nicht. Man rudert bis zum
Schleusentor, dort stehen zwei Mann rechts und links oben, die ein Seil zwischen sich gespannt haben. Das wird abgesenkt auf die Ruderer, einer im Boot hält es mit beiden Händen fest, so wird das Boot mit lang gelegten Skulls in die Schleuse manövriert. Die Boote liegen Bord an Bord, jeder hält sich noch am Nachbarn fest. Wenn das Wasser unten ist, werden die Boote von den Menschen oben auf der Schleuse eins nach dem anderen per Seil wieder aus der Schleusenkammer gezogen.
Gerade in der Altstadt muss man teilweise höllisch aufpassen im Ruderboot, weil es enge Stellen und Brückendurchfahrten gibt, oder, wie direkt nach der Schleuse, eine Querströmung vom Wehr oder einfach viel Boots- und Touristenschiffsverkehr. Viel Zeit zum Fotografieren ist da nicht. Das besorgen dafür die Touristen an Land, die die vielen Ruderer bestaunen. Das Münster sehen wir nur aus der Ferne an Backbord (oder doch au Bâbord?). Dafür kommen wir dem Europaparlament, dem Europarat und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziemlich nah auf dem Wasser. Und netterweise müssen wir nicht rätseln, was wir da sehen, es ist alles auch wasserseitig beschriftet!
Nach dem Europa-Viertel rudern wir auf dem Rhein-Rhone-Kanal, der hier mit dem Rhein-Marne-Kanal zusammenfließt. Hinter einer dicken Schleuse ginge es in den Rhein, aber wir biegen rechts ab und rudern das Hafenbecken der Festung entlang Richtung Mittagspause. Mittlerweile brennt die Sonne ganz ordentlich von oben, kein Wölkchen am blitzeblauen Himmel, Schatten wäre toll!
Auf der Halbinsel André Malraux sind vor der Mediathek Sonnensegel aufgebaut, eine Art Guggemusig spielt laut und mitreißend, Mitglieder eines Vereins für Traditionspflege liefern sich auf dem Wasser eine Art Fischerstechen, bei dem der Verlierer angesichts des Wetters bestimmt nicht böse ist über seinen Wasser-Fall. Würstchen und Salate warten auf die hungrigen Ruderer. Aber die müssen erst mal an Land kommen – an einem aufblasbaren Steg in der Länge eines Vierers. Kaum sind wir draußen, wird unser Boot von Helfern zur Seite gezogen und an einem parallel zum Ufer gespannten Seil vertäut. Die Kanuten haben es einfacher, die heben ihre Gefährte einfach aus dem Wasser auf den Platz vor der Mediathek.
Nach der Mittagspause ist Geduld gefragt an der nächsten Schleuse. Sechs Boote passen angeblich auf einmal in die Kammer. Keiner weiß, ob jemand auch in die andere Richtung schleust, deshalb scheuchen die Helfer die Boote, die vor dem Schleusentor liegen, auf die Seite. Es gibt nur wenig Schatten, dafür eine Schildkröte im Wasser und eine Familie an Land, die jedes Mal, wenn wir unser Boot wieder in den Schatten manövrieren, denken, wir würden die Schildkröte überfahren. Hinter uns liegt die „Tatjana II“, ein wunderschöner breiter Holz-Zweier mit doppeltem Steuersitz und offenen Dollen. Er ist genauso alt wie unser Verein – 103 Jahre!
Diesmal kennen wir das Prozedere in der Schleuse ja schon, also geht es schneller. Und schon sind wir – nach einem für uns Deutsche unverständlichen Ruf für den Schleusenwärter und die Helfer – wieder draußen und im Heyritz-Becken, wo die Tur am Morgen begonnen hat. Aber sie ist noch nicht zu Ende! Kurze Pipi-Pause, dann fahren wir genau die Strecke, die am Morgen die falsche war. Jetzt ist sie allerdings richtig. Es ist grün, Bäume stehen dicht am Ufer, und dass die Ill Strömung hat, merken wir bei jeder Trinkpause – und bei der letzten Etappe, bis wir wieder im Rowing Club anlegen.
Nach einem so ereignis- und sonnenintensiven Tag freut man sich umso mehr über die geschickten Bootswagen des Vereins. Schnell liegen die Boote wieder vor der Halle und
werden abgeriggert. Denn die meisten kommen vom Landesruderverband Baden-Württemberg. Die französischen Ruderer haben so gut wie keine eigenen Boote mitgebracht. Als alles aufgeladen ist und alle geduscht haben, kommt der große Abschied. Auf Party im Ill-Club, wie sie im Programm steht, haben die wenigsten noch Lust. Da muss man erst einmal noch hinlaufen, aber wer das Klubhaus schon mal gesehen hat, sagt „das musst du machen, das Bootshaus ist der Wahnsinn“. Und nachdem wir beim Rowing Club offenbar auf dem Trockenen sitzen würden, marschieren wir mit ein paar Mulhousenern doch noch dorthin. Und sind froh darum. Das Bootshaus ist aus den 1860er Jahren, ein Holzhaus, in dem das meiste noch original ist, krumm, schief und très charmant.
Heike Lüttich