Rudern auf der Biscayne Bay im Morgengrauen
Wanderrudern 18. November 2024
Ich habe beim Rudern noch nie so sehr geschwitzt. Das mag zum Teil sicher daran liegen, dass die Temperatur morgens um kurz nach sechs bereits schwüle 78 °F beträgt. Erschwerend kommt hinzu, dass ich unverhofft im Rennboot mit drei Masters-Ruderinnen sitze, die in ihrem Bestreben, bei der nächsten Regatta gut abzuschneiden, keine Rücksicht auf Gäste im Boot nehmen.
Aber der Reihe nach: Eine kleine Delegation des Marbacher Rudervereins hat kurz zuvor eine Woche lang eine Wanderfahrt auf dem Ohio River von Cincinnati nach Louisville unternommen und ist im Anschluss daran mit dem Auto etappenweise Richtung Florida gefahren. Kurz vor dem Rückflug bietet man uns nun an, eine Bootshausführung beim Miami Beach Rowing Club zu erhalten. In meiner Antwort erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass richtiges Rudern eine doch viel sinnvollere Tätigkeit wäre, und so bestellt man uns genau dafür für den folgenden Tag für 6:30 Uhr ans Bootshaus.
Am nächsten Morgen freilich fahre ich alleine zum Ruderverein: Meine beiden Begleiterinnen sind erwartungsgemäß am letzten Urlaubstag nicht bereit, um 5:30 Uhr aufzustehen, um zu rudern. Mir geht mit Schrecken durch den Kopf, dass man in den USA keine Gig-Boote kennt, sodass das Rudern mit Masters-Ruderinnen vielleicht nicht ganz so entspannt ablaufen könnte, wie ich es vom Wanderfahren her gewohnt bin. Auf dem gebührenpflichtigen Parkplatz des Miami Beach Rowing Club ist fast kein freier Stellplatz zu bekommen: Eine Kompanie Studentinnen wärmt sich, ordentlich ausgerichtet, gerade auf, um dann kurz danach mit einer Vielzahl an Achtern zum Training aufs Wasser zu gehen. Es ist noch pechschwarze Nacht; die Boote führen alle Positionslichter, am Bug ein rot-grünes, am Heck ein weißes. Begleitet werden sie von einer Flotte Trainerboote, jedes mit mehreren Personen besetzt.
Auch meine Mannschaft trifft kurz darauf ein. Ich muss zunächst ein längeres Vertragswerk unterschreiben, das insbesondere den Ruderverein von allen Ansprüchen befreien soll, die ich im Falle von Tod und Verstümmelung mutmaßlich an sie richten könnte. Danach bringen wir unseren Vierer aufs Wasser und los geht’s! Damit ich etwas von der Gegend sehe, rudern wir nicht (wie eigentlich üblich) auf dem Indian Creek, sondern fahren auf die Biscayne Bay hinaus, die um diese Uhrzeit noch spiegelglatt daliegt. Wir kommen an protzigen Villen mit dekadenten Türmchen und noch dekadenteren Yachten vorbei; voraus funkelt die Skyline von Miami.
Wie bereits befürchtet, handelt es sich nicht um beschauliches Teebeutel-Rudern: Die Obfrau kommandiert eine Übung nach der anderen, zwischendurch nur unterbrochen von diversen Steigerungen, die mit jedem Mal länger zu werden scheinen. Mir hängt die Zunge immer weiter heraus, ich bekomme Seitenstechen, kaum noch Luft und nach langer Zeit mal wieder Krämpfe in den Unterarmen, traue mich aber nicht, schon wieder eine Trinkpause vorzuschlagen, noch dazu als einziger Mann im Boot. Andererseits ist der Blick auf die Skyline von Miami gerade nicht allzu schlecht, und so kann ich den Wunsch nach einer Fotopause vorschieben, ohne meinem Ansehen allzu viel Schaden zuzufügen.
Wir biegen ab in den Surprise Waterway, die Einfahrt ist von einem Schwimmkran nahezu blockiert (hier bekommt eine Villa ihr zweites Türmchen) aber irgendwie schafft es das Boot, sich daran vorbeizuquetschen. Die Residenzen rund um den Surprise Lake sehen noch dekadenter aus als die zuvor; danach mündet die Durchfahrt in den Indian Creek. Es ist mittlerweile halbwegs hell geworden. Von den vielen Achtern ist nicht mehr viel zu sehen, wahrscheinlich sind die Studentinnen inzwischen alle auf dem Weg in die Vorlesung.
Nach 10 km sind wir zurück am Steg, eine zweite Runde hätte ich in dem Tempo nicht geschafft. Das Wasser der Biscayne Bay ist Brackwasser, Boot und Skulls werden daher aufs peinlichste geputzt. Viel Zeit zum Verabschieden ist nicht mehr: Die Damen müssen los, ich vermute zur Arbeit, und so frage ich erst gar nicht mehr nach einer kurzen Führung durchs Bootshaus. Aber es bleibt doch noch die Zeit, eine Einladung zum Mitrudern in Marbach auszusprechen, sollte sich ein Ruderer aus Miami doch einmal dorthin verirren.
Frank Hofmann